Wie gefährlich ist die AfD?

Mit seinen Ermittlungen gegen die Alternative für Deutschland (AfD) verstösst der deutsche Verfassungsschutz gegen seine Prinzipien. Der Zweck heiligt die Mittel: Das Gutachten stellt eine Gefahr für diese Oppositionspartei dar.

Im Fall der Alternative für Deutschland (AfD) hat das Amt alle drei Regeln gebrochen: Das mehr als 400-seitige Gutachten, in dem die AfD zum «Prüffall» und ihre beiden Unterorganisationen Junge Alternative (JA) und «Der Flügel» zum «Verdachtsfall» erklärt werden, landete auf unerklärliche Weise in diversen Zeitungsredaktionen. Der Verdacht liegt nahe, dass BfV-Mitarbeiter selber das Dokument weitergeleitet haben. Bestürzung oder gar Aufregung über das Leck jedenfalls sind nicht zu beobachten.

In seinem Papier beruft sich das Amt zudem auch auf Erkenntnisse, welche die linksradikale Antifa über die AfD gesammelt hat. Das wäre so, als ob ein Richter von einem Gegner des Angeklagten Beweise sammeln liesse. Die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschützern und den zum Teil gewalttätigen Autonomen reicht freilich schon länger zurück. So lobte etwa der bayerische Verfassungsschutz vor zwei Jahren ausdrücklich die Recherchen von Antifa-Gruppen in der rechten Szene.

Die Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes schliesslich ist der Schutz der demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik. Doch noch nicht einmal die Rechercheure der Antifa konnten der AfD in diesem Punkt umstürzlerische Bestrebungen oder auch nur entsprechende Äusserungen nachweisen. Im Gegenteil: Ihre Mitglieder stehen fest auf dem Boden der Demokratie – übrigens im Gegensatz zu vielen Linken, die das «Scheisssystem» abschaffen wollen, wenn nötig mit Gewalt. Als verfassungsfeindlich stuften die Verfassungsschützer daher islamkritische Äusserungen von AfD-Politikern ein. Diese seien «rassistisch» und verstiessen gegen Artikel eins des Grundgesetzes, der die Würde des Menschen schützt.

Zustandekommen, Inhalt und Zeitpunkt des AfD-Gutachtens mögen also teilweise fragwürdig sein. Doch da es gegen eine Partei geht, welche die sogenannten Altparteien bedroht, scheint der Zweck die Mittel zu heiligen. Die Bundesregierung und das etablierte Parteiensystem können denn auch zufrieden sein. Denn das Gutachten stellt tatsächlich eine Gefahr für die AfD dar, vertieft es doch den Spalt, der sich durch diese Partei zieht.

Fünf Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD ein Zweckbündnis zweier verschiedener, zum Teil sogar gegensätzlicher Parteien: wirtschaftsliberal und konservativ der eine Teil, radikaler und nationalistisch der andere. Die Spaltung lässt sich auch geografisch markieren. Im Westen, in der alten Bundesrepublik, rekrutieren sich Mitglieder und Wähler aus den Reihen enttäuschter Wähler von CDU/CSU, SPD und FDP. Es sind brave Bürger, gesetzestreu und frei von jeglichen Gedanken an revolutionäre Umstürze. Ostdeutsche AfD-Wähler hingegen haben in den Wendejahren auf den Strassen gegen das kommunistische SED-Regime protestiert und dieses zu Fall gebracht. Sie haben keine Angst vor ein bisschen Zoff.

«Grundsätzliche politische Wende»

Daher trifft das Gutachten des Verfassungsschutzes die Westler in der Partei besonders schwer. Schon jetzt ist es im besten Fall unangenehm, in vielen anderen Fällen sogar riskant, sich als AfD-Sympathisant oder gar als -Mitglied zu erkennen zu geben. Gesellschaftliche Ächtung oder gar berufliche Nachteile sind oft die Folge. Wenn nun auch noch eine staatliche Behörde wie der Verfassungsschutz die Aktivitäten der Partei unter die Lupe nimmt, wird dies viele Anhänger noch mehr verschrecken. Dies gilt insbesondere für Beamte, die sich fragen müssen, ob es nicht bald eine Neuauflage des berüchtigten Radikalenerlasses aus den siebziger Jahren geben wird. Er verwehrte damals Mitgliedern linker Parteien den Zugang zum Staatsdienst. Blüht demnächst dasselbe Schicksal AfD-Sympathisanten?

Die AfD-Landesverbände in den östlichen Bundesländern fordern hingegen einen strammeren Rechtskurs. Viele Mitglieder gehören dem «Flügel» an, einem informellen Zusammenschluss ohne gewählte Führung. Wie gross sein Anteil an der Gesamtpartei ist, weiss man nicht. Auf Parteitagen und bei Vorstandswahlen mobilisiert er jedenfalls meist erfolgreich seine Gefolgsleute. Mit Sicherheit verfügt der «Flügel» über eine Sperrminorität, gegen die nichts in der AfD entschieden werden kann.

Wer sich zum «Flügel» zählt, steht zur «Erfurter Resolution», die bereits 2015 auf einem Parteitag der Thüringer AfD verabschiedet wurde. Darin warnen die Unterzeichner – zu denen übrigens auch Parteichef Alexander Gauland zählt – vor einer «ängstlichen Anpassung» an den etablierten Politikbetrieb sowie vor der «Tendenz, die politische Spannbreite der AfD über Gebühr und ohne Not zu begrenzen». Die «eigentliche Daseinsberechtigung» der Partei sei eine «grundsätzliche politische Wende» in Deutschland.

Wie sehr die Sorge vor Anpassung berechtigt ist, zeigt eine wenig beachtete Abstimmung vergangene Woche im Bundestag: Da stimmte die AfD – ganz staatstragend – mit den Regierungsparteien Union und SPD gegen einen Antrag der Opposition, der die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Aufklärung von Unregelmässigkeiten im Verteidigungsministerium forderte.

Respektierlich oder revolutionär?

Informeller Führer des «Flügels» ist der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke, dessen markige und mitunter grenzwertige Sprüche auch vielen AfD-Mitgliedern, zumal in den alten Bundesländern, suspekt sind. Daher dürften nach dem BfV-Gutachten nun wieder die Stimmen lauter werden, die eine Trennung von Höcke fordern. Ein früheres Parteiausschlussverfahren, das von Fraktionschefin Alice Weidel angestrengt worden war, verlief im Sande. Denn Höcke hat Macht, Freunde und Einfluss in der Partei – in diesem Jahr noch mehr als auch schon.

In den kommenden zwölf Monaten wird in den drei ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Brandenburg und Sachsen gewählt. Hier liegen die Hochburgen der AfD, hier hofft sie, zur stärksten Kraft zu werden und vielleicht gar Regierungsverantwortung zu übernehmen. Dies wäre ein wichtiges Signal für das ganze Land. Das will man nicht aufs Spiel setzen. Denn wenn man den «Flügel» sanktionieren würde, bestünde die Gefahr, dass er zu einer eigenen Partei mutiert und in Konkurrenz zur AfD tritt. Ein erstes Beispiel gibt es bereits: André Poggenburg, einst AfD-Chef in Sachsen-Anhalt und mit Höcke Initiator der «Erfurter Resolution», verliess die Partei, nachdem ihn der Bundesvorstand von allen Ämtern ausschliessen wollte. Poggenburg hat seitdem eine eigene Partei gegründet, doch zum Glück für die AfD wird in Sachsen-Anhalt erst 2021 wieder ein Landtag gewählt.

Ein Vertreter der parteiinternen gemässigten Gruppe Alternative Mitte bezeichnete den «Flügel» und die Jugendorganisation JA denn auch bereits als «existenzbedrohende Gefahr» für die Partei. Und AfD-Spitzenfrau Beatrix von Storch beschwor kürzlich die Delegierten auf dem Europa-Parteitag eindringlich, Wähler in der Mitte dazuzugewinnen, anstatt sie zu vertreiben.

Streit und Zwietracht sind Gift für jede Partei. In jüngsten Umfragen hat die AfD vier Prozentpunkte verloren und kommt bundesweit nur noch auf zwölf Prozent. Das Gutachten des Verfassungsschutzes wird den innerparteilichen Konflikt verschärfen und zwingt die AfD zu einer Entscheidung: Was will sie sein? Respektierlich oder revolutionär? Staatstragend oder unruhestiftend? Letzten Endes läuft es auf einfache Arithmetik hinaus: Verprellen die Rechten im Osten mehr Wähler im Westen, als sie im Osten dazugewinnen?

 

Quelle:
https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2019-4/artikel/wie-gefahrlich-ist-die-afd-die-weltwoche-ausgabe-4-2019.html